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Kraftwerksstandort Lingen gibt Versorgungssicherheit

Ein Interview mit Wolfgang Kahlert, Leiter des Kernkraftwerkes

Wolfgang Kahlert studierte Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Kraftwerkstechnik in Paderborn. 1984 begann er seine Laufbahn als Ingenieur beim damals im Bau befindlichen Kernkraftwerk Emsland in Lingen. Seit Dezember 2017 leitet Kahlert das Kraftwerk. Gemäß den Regelungen des Atomgesetzes wird der Leistungsbetrieb der Anlage zum 31. Dezember 2022 enden. Wir sprachen mit ihm über die Aufgaben, die hierdurch an ihn und die Belegschaft gestellt sind.

 

Ein Interview von Anke Schweda und Juliane Hünefeld-Linkermann, IHK für das ihkmagazin März 2019

 

__ Herr Kahlert, das Kernkraftwerk Emsland wurde zwischen 1982 und 1988 gebaut und ist vor gut 30 Jahren ans Netz gegangen. Welche Bilanz können Sie heute ziehen?

Das Kernkraftwerk Emsland hat bislang rund 347 Mrd. kWh CO2-freien Strom produziert. Diese Menge würde ausreichen, um die gesamte Welt mehr als eine Woche lang mit elektrischer Energie zu versorgen, die Bundesrepublik für 222 Tage oder die Stadt Lingen für 886 Jahre. Die hohe Verfügbarkeit des Kraftwerks von 94 % ist ein Spitzenwert im weltweiten Vergleich und Beleg für eine hervorragende Performance und das hohe Sicherheitsniveau.

 

__ Was sind die Erfolgsfaktoren? 
Zum einen eine motivierte und gut ausgebildete Mannschaft. Zum anderen regelmäßige Investitionen bei der jährlichen Revision, bei denen wir den Block optimal auf das kommende Betriebsjahr vorbereiten. In den vergangenen zehn Jahren haben wir während der Revisionen rund 180 Mio. Euro für Anlagensicherheit und Technik aufgewendet. Damit ist das Kraftwerk ein Garant für Versorgungssicherheit und Netzstabilität in der Region, die auch für energieintensive Branchen einen wichtigen Standortfaktor darstellen.

 

__ Am 31. Dezember 2022 wird der Leistungsbetrieb enden. Das Kernkraftwerk Emsland soll in den nächsten Jahren zurückgebaut werden. Wo liegen die Herausforderungen bei so einem Prozess?

Bis zum Tag der endgültigen Abschaltung hat der sichere Leistungsbetrieb oberste Priorität. Aber natürlich bereiten wir uns auch auf die Nachbetriebsphase und den späteren Abbau vor. Wir planen alle Schritte des Rückbauprojektes und können hierbei von unseren Erfahrungen, die wir bei RWE und auch hier am Standort durch den Rückbau des Kernkraftwerks Lingen gesammelt haben, profitieren. Hier sind die Erfolgsfaktoren transparente und ineinander­greifende Prozesse. Das ist eine große Herausforderung, die jede Menge Veränderungen sowie neue und spannende Aufgaben für alle Beschäftigten mit sich bringt.

 

__ RWE hat Ende 2016 beim niedersächsischen Umweltministerium eine Abbaugenehmigung beantragt. Wo steht das Genehmigungsverfahren?
Das Ministerium wird als nächstes in einem sogenannten Scoping den Rahmen, sprich den Inhalt und den Umfang der Unterlagen, für das Genehmigungsverfahren festlegen. RWE führt z. B. eine Umwelt­verträglichkeitsuntersuchung für den Rückbau durch. Im weiteren Verlauf steht mit dem Erörterungstermin ein wichtiger Schritt zur Beteiligung der Öffentlichkeit innerhalb des Genehmigungsverfahrens an. Eingereichte Einwendungen werden in einem mündlichen Termin gemeinsam erörtert. Transparenz für die Region ist uns heute im Leistungsbetrieb sehr wichtig und das wird auch im Rückbau unverändert bleiben. Es wird zukünftig ein breites Informationsangebot zum voranschreitenden Rückbauprozess der Kraftwerksanlage für die Öffentlichkeit geben.
 

__ Es wurden bereits Kernkraftwerke zurückgebaut. Mit welchen Erfahrungen?
RWE hat bereits eine Kernkraftwerksanlage in Kahl (Bayern) vollständig zurückgebaut. Derzeit laufen Rückbauprojekte an den Standorten Gundremmingen, Biblis sowie Mülheim-Kärlich. Hier in Lingen bauen wir seit 2016 das ehemalige Kernkraftwerk Lingen zurück, das Ende der 1970er Jahre seinen Betrieb eingestellt hat und sich anschließend im sicheren Einschluss befand.  Ein Arbeitsschwerpunkt 2019 ist der Ausbau der Dampfumformer. Die jeweils 155 Tonnen schweren Großkomponenten hatten während der Betriebszeit die Aufgabe, den nötigen Dampf für die Turbine zu erzeugen. Die gesammelten Erfahrungen innerhalb der verschiedenen RWE-Rückbauprojekte fließen dann wieder in die Planung neuer Projekte wie beispielweise den Abbau des Kernkraftwerks Emsland ein.

 
__ Wie viele Mitarbeiter, aktuell sind es rund 350 Angestellte, werden ab dem 1. Januar 2023 beschäftigt sein?
Wie genannt, planen wir bereits heute parallel zum Leistungsbetrieb den Abbau unserer Kraftwerksanlage. Dazu gehört auch eine belastbare Personalplanung, der ich nicht vorgreifen möchte. Es steht außer Frage, dass der sichere Rückbau eine technisch höchst anspruchsvolle Aufgabe ist, für die wir auch in Zukunft weiterhin gut ausgebildete Fachkräfte hier in Lingen benötigen. Daher bilden wir weiterhin am Kraftwerksstandort in der beruflichen Erstausbildung aus. Wir werden allerdings perspektivisch weniger Personal als heute benötigen. Da wir den Abschaltzeitpunkt lange kennen, bin ich sehr optimistisch, dass uns der perspektivisch notwendige Personalabbau sozialverträglich gelingt.

 
__ Welche Rolle spielen das Kernkraftwerk Emsland und das Erdgaskraftwerk bei der Energiewende?
Ein Industrieland wie Deutschland braucht jederzeit zuverlässig Strom – unabhängig davon, ob die Sonne scheint oder der Wind weht. Gleichzeitig aus der Stromerzeugung mit Hilfe der Kernenergie und der Kohle auszusteigen, ist wie eine Operation am offenen Herzen für die Energieversorgung. Wichtig ist also, den Umbau des Energiesystems mit Augenmaß zu gestalten. Erneuerbare Energien und flexible konventionelle Kraftwerke wie das Kernkraftwerk und das Erdgaskraftwerk Emsland arbeiten Hand in Hand und ergänzen sich gegenseitig. Wenn Wind und Sonne nicht produzieren, füllen konventionelle Kraftwerke durch ihre flexible Fahrweise die sonst entstehenden Versorgungslücken und tragen als Rückgrat der Energiewende wesentlich zur Netzstabilität und Versorgungssicherheit bei.

 
__ Und was bedeutet der Wegfall der Kraftwerkskapazitäten aus dem Kernkraftwerk für die Versorgungssicherheit in der Region „Energy Valley“?

Das Erdgaskraftwerk Emsland wird perspektivisch weiter an Bedeutung für die Versorgungssicherheit in der Region gewinnen und einen immer wichtigeren Part in den Reihen der Backup Kapazitäten einnehmen. Weil der Netz-Knotenpunkt in Hanekenfähr schon heute eine wichtige Rolle bei der Einspeisung und der Weiterverteilung von elektrischer Energie spielt, gehe ich davon aus, dass er auch zukünftig zur weiteren Stärkung des Energiestandortes Lingen beitragen wird.

 

Wolfgang Kahlert leitet seit Dezember 2017 das Kernkraftwerk Emsland

 

 
Quelle: ihkmagazin Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim, Heft 3 März 2019