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Interview mit dem Leiter des Erdgaskraftwerkes im IndustriePark Lingen, Herrn Dr. Wüllenweber

 

Dr. Heinz-Jürgen Wüllenweber ist seit Anfang 2012 Leiter des Erdgaskraftwerkes am Standort Lingen.Herr Dr. Wüllenweber, die Energiewende wirkt sich auf viele Beteiligten der Branche massiv aus. Unter anderem hatte RWE während der Sommermonate die Erdgasblöcke und die moderne Gas- und Dampfkraftanlage in Lingen vom Netz genommen. Nun sind sie wieder in Betrieb. Vor welche Herausforderungen stellt die Energiewende Ihr Unternehmen?

 

Dr. Wüllenweber: Die deutsche und europäische Energieversorgung ist ein komplexes System, welches sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Mit der Energiewende hat der deutsche Gesetzgeber über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) und den Ausstieg aus der Kernenergie an zwei Stellen massiv in dieses System eingegriffen. Dabei wurden die Auswirkungen auf das Gesamtsystem nicht ausreichend bedacht. Zum einen wurde mit den Kernkraftwerken eine zuverlässige, konstante Stromerzeugung aus dem Markt genommen, zum anderen steigt der Anteil einer volatilen und schwer kalkulierbaren Stromeinspeisung durch die Regenerativen. Sie nehmen den konventionellen Kraftwerken Einsatzzeiten weg und senken die Großhandelspreise. Konkret heißt das: Unsere Kraftwerke müssen immer höhere Anforderungen an Flexibilität und Einsatzbereitschaft erfüllen, doch der dabei zu erzielende Preis für den erzeugten Strom deckt häufig nicht mehr die Kosten der Anlage. Das kann kein Unternehmen dauerhaft aushalten.

 

Insbesondere Gaskraftwerke werden vom Markt kaum angefordert. Daher auch die Entscheidung, sie im Sommer vorübergehend vom Netz zu nehmen. Woran liegt es, dass Gaskraftwerke wenig gefragt sind?

 

Ein Blick an die Strombörse EEX bringt hier Klarheit. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Nur die Kraftwerke können ihr Produkt „Strom“ absetzen, die diesen wirtschaftlich erzeugen können. Zwar sind die Brennstoffkosten bei der Braun- und Steinkohle deutlich günstiger und die Bezugsquellen sicherer als bei Erdgas, aber die Marktbedingungen zwingen RWE, auch in diesem Bereich Kraftwerkskapazitäten vom Netz zu nehmen. Erdgaskraftwerke wie unsere in Lingen sind vor allem durch die wegfallende Mittagsspitze betroffen, das heißt: Zu der Zeit mit dem höchsten Strombedarf und den höchsten Preisen ist jetzt vor allem die Photovoltaik im Einsatz. Unsere Blöcke werden nur dann angefordert, wenn bei Flaute und Dunkelheit die Stromeinspeisung durch die Erneuerbaren einbricht oder wenn eine kurzfristige Einspeisung nötig wird, um das Stromnetz zu stabilisieren. Die Arbeitsauslastung der Kraftwerksblöcke liegt aufgrund dieser Entwicklung nur noch im einstelligen Prozentbereich – zu über 90 Prozent stehen hochmoderne Anlagen also still.

 

Inwiefern bietet die Energiewende auch Chancen für den Standort Lingen?

 

Wir haben in den vergangenen Jahren über 700 Millionen Euro in den Neubau und die Modernisierung unserer Erdgasblöcke am Standort Lingen investiert. Mit einem Wirkungsgrad von über 59 Prozent gehört unsere GuD-Anlage zu den effizientesten Kraftwerken weltweit. Zudem wurden die Blöcke auf hohe Flexibilität und schnelle Starts optimiert. Damit sind wir mit unserem Gaskraftwerk ein idealer Partner der erneuerbaren Energien. Aber um dieser Verantwortung gerecht zu werden, müssen sich die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern.

 

Das Angebot von Strom aus Sonne und Wind unterliegt großen Schwankungen. Daher sind konventionelle Kraftwerke für die Versorgungssicherheit auch auf lange Sicht unersetzlich. Als Lösung wird ein sogenannter Kapazitätsmarkt gefordert. Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?

 

Ja! Dass sich vor Kurzem 30.000 Menschen am Aktionstag der Gewerkschaft ver.di zu diesem Thema beteiligt haben, zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist. Wer die hohe Qualität der Stromversorgung in unserem Land auch künftig gewährleisten will, der muss bereit sein, für die Bereitschaft der Kraftwerke zu zahlen. So wie die Feuerwehr ja auch dafür bezahlt wird, permanent für den Falle der Fälle gewappnet zu sein. Der Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) haben gemeinsam ein Modell entwickelt – den dezentralen Leistungsmarkt (DLM) –, der technologieoffen, auf der Basis von Wettbewerb Versorgungssicherheit gewährleistet. Also kein „Hartz IV“, sondern vielmehr eine Art „Mindestlohn“ für Kraftwerke.

 

Der Sommer wird genutzt, um die Anlage umzurüsten

 

 

hier: Das Magazin für unsere Nachbarn, RWE-Kraftwerkstandort Lingen,

Ausgabe 4/2014

S. 12-13